RENO-TITAN: Vom „Abfall“ zur Ressource: Restsande aus dem Titanbergbau in Vietnam sicher nutzen
Schwerminerale – kleine Körner, große Wirkung
Im Zentrum des Projekts stehen Schwerminerale - Minerale mit deutlich höherer Dichte als Quarz. Sie machen weniger als ein Prozent der vietnamesischen Küstensande aus, sind aber von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Aus Ilmenit und Rutil entstehen Konzentrate, die als Rohstoffe für Titandioxid, das wichtigste Weißpigment, und für Titanmetall dienen. Zirkon wird in der Keramik- und Feuerfestindustrie eingesetzt, während Monazit Seltene Erden liefert und zusätzlich Thorium enthält. Diese Rohstoffe ermöglichen viele Alltagsprodukte und Zukunftstechnologien – von Farben und Fliesen bis zu Windkraftanlagen und Elektromotoren.
Im Projekt wurden die Stoffströme entlang der gesamten Prozesskette detailliert erfasst und radiologisch untersucht. Dabei zeigte sich, dass es nicht „den einen Restsand“ gibt, sondern unterschiedliche Fraktionen mit variierenden radiologischen Eigenschaften. Entscheidend ist, welche und wie viele Schwerminerale sie enthalten, denn Minerale wie Monazit und Zirkon weisen von Natur aus erhöhte Radioaktivitätswerte auf. Abhängig vom konkreten Aufbereitungsprozess können Rückstände je nach Zusammensetzung deutlich höhere Aktivitäten zeigen als der ursprüngliche Küstensand.
Strahlenschutz im Fokus: Wasser, Arbeitsplätze, Rückstände
Drei Themenfelder standen im Mittelpunkt: die Radionuklidbelastung von Grund- und Oberflächenasser in der Umgebung der Abbaugebiete und Aufbereitungsanlagen, an Arbeitsplätzen und in NORM-Rückständen, also „naturally occurring radioactive materials“ - Materialien mit natürlich vorkommenden Radionukliden der Uran- und Thorium-Zerfallsreihen. Untersuchungen von Grund- und Oberflächenwasser in der Umgebung zweier Tagebaue zeigten, dass die Konzentrationen der Uranisotope unter den WHO-Richtwerten für Trinkwasser liegen. In einzelnen Prozesswässern wurden jedoch erhöhte Werte für Radium-228 gemessen. Daher empfiehlt das Projekt, Grund- und Oberflächenwasser in Gegenden, wo Schwermineralsand abgebaut und verarbeitet wird, regelmäßig messtechnisch zu überwachen.
Für Beschäftigte in Aufbereitung und Lager wurden Gamma-Dosisleistungen zwischen 0,5 und 2 Mikrosievert pro Stunde gemessen. Dies entspricht unter konservativen Annahmen einer zusätzlichen Jahresdosis von bis zu 2,4 Millisievert und liegt damit unter dem Grenzwert für beruflich strahlenexponierte Personen von 20 Millisievert pro Jahr. Sie ist jedoch in der Größenordnung der natürlichen Jahresdosis, der ein Mensch im weltweiten Durchschnitt ausgesetzt ist. Um die Arbeitssicherheit weiter zu erhöhen, empfiehlt RENO-TITAN, staubintensive Arbeitsplätze zu identifizieren, die Staubkonzentration und die Radonbelastung der Luft zu messen, Luftfilter auf erhöhte Radionuklidablagerungen zu prüfen, Absauganlagen technisch zu verbessern und die Beschäftigten mit Personendosimetern oder Arbeitsplätze mit Ortsdosimetern auszustatten, um die beruflich bedingte Strahlenbelastung besser abschätzen zu können.
Zur sicheren Handhabung höher aktiver Rückstände wurden Verfestigungs- und Immobilisierungstests mit Portlandzement und Geopolymeren durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass sich Rückstände mit Anteilen von bis zu rund zwanzig Masseprozent in mechanisch stabile und chemisch beständige Probekörper einbinden lassen. In Laugungstests blieben die freigesetzten Radionuklidkonzentrationen selbst unter konservativen Annahmen unterhalb der WHO-Richtwerte. Geopolymer und Portlandzement weisen eine vergleichbare immobilisierende Wirkung auf, wobei Zement aufgrund seiner Verfügbarkeit und deutlichen geringeren Kosten Vorteile bietet.
Vom Rückstand zum Baustoff
Die bisherigen Untersuchungen legen nahe, dass feinkörnige Restsande aus dem Titanerzbergbau unter bestimmten Bedingungen als Alternativsand im Bauwesen eingesetzt werden können. Voraussetzung ist, dass sie nur in begrenzten Anteilen und abgestimmten Mischungen verwendet werden, sodass die zusätzliche Strahlenbelastung in fertigen Bauprodukten unter dem international üblichen Richtwert von einem Millisievert pro Jahr bleibt. Die vietnamesische Norm TCXDVN 397:2007 legt dazu Indizes auf Basis der Aktivitäten für Radium‑226, Thorium‑232 und Kalium‑40 fest und bestimmt, ob Materialien beispielsweise im Innen- oder Außenbereich eingesetzt werden dürfen. Erfahrungen aus anderen Ländern, etwa aus der Nutzung von Reststoffen aus der Titandioxidproduktion, zeigen, dass solche Materialien bei sachgerechter Mischung sowohl bautechnisch als auch radiologisch unbedenklich sind.
Internationale Fachkonferenz in Zentralvietnam
Während des Projektaufenthalts organisierten die Partner eine Fachsitzung mit dem Titel „Natürliche Radioaktivität in der Umwelt“ im Rahmen der International Vietnam Conference on Earth and Environmental Sciences (iVCEES 2025) in Quy Nhon, einer zentralvietnamesischen Küstenstadt. Fachleute aus Vietnam, Indonesien, Thailand, Japan, Frankreich und Deutschland tauschten sich aus zu rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen für NORM, Fallstudien aus Zinnhütten, Radonmessungen und landesweiten Strahlungserhebungen in Indonesien. In Mamuju in West-Sulawesi, Indonesien, beispielsweise wurde eine außergewöhnlich hohe natürliche Strahlenbelastung von durchschnittlich etwa 32 Millisievert pro Jahr gemessen. Zum Vergleich: der weltweite Mittelwert liegt bei etwa 2,4 Millisievert. Der zweite Teil der Sitzung widmete sich praktischen Erfahrungen aus Probenahme und Sanierung sowie dem Management von NORM-Rückständen in Vietnam. Den Abschluss bildete ein Vortrag zu RENO-TITAN, der den Ansatz des Projekts zur Bilanzierung der gesamten Prozesskette und zu sicheren Optionen für Wiederverwendung und Entsorgung vorstellte.
Ausblick: Mehr Wertschöpfung, weniger Angst
Aus den Gesprächen ergab sich eine Reihe von Zukunftsthemen, die über den Titansektor hinausreichen: So wurde diskutiert, wie sich die im Projekt RENO-TITAN gewonnenen Erfahrungen auf andere Branchen wie Kohlekraftwerke, die Gewinnung Seltener Erden oder die Öl- und Gasindustrie übertragen lassen, wie nationale und oftmals strengere Vorgaben der einzelnen Provinzen besser aufeinander abgestimmt werden können und wie Lebenszyklusanalysen helfen können, ökologische Vorteile verschiedener Optionen sichtbarer zu machen. Ergänzend wurden Ideen für eine landesweite Radonmesskampagne und für einen sichereren Umgang mit radioaktiven Abfällen aus der Medizin entwickelt.
Genau vor diesem Hintergrund gewinnt auch der Schwermineralsandabbau in Vietnam an Bedeutung: Das Land verfügt über die rechtlichen Voraussetzungen, um Restsande aus dem Titanbergbau verantwortungsvoll zu nutzen. Die größte Hürde sind weniger fachliche Fragestellungen, als die oftmals über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehende lokale Sorge vor Radioaktivität. Hier kann RENO-TITAN mit belastbaren Messdaten, realistischen Pilotversuchen und transparenten Empfehlungen helfen, Vertrauen zu schaffen – sowohl bei der Bevölkerung und Behörden, als auch bei Unternehmen – und damit zu Ressourceneffizienz und heimischer Wertschöpfung beitragen.
Unser Dank gilt den vietnamesischen Partnern und den beteiligten Unternehmen für ihre Offenheit, die gute Zusammenarbeit, ihr anhaltendes Interesse und die große Gastfreundschaft.
Für weitere Informationen zu RENO-TITAN besuchen Sie die Projektseite.